Kirchenglocken

Essen, Freitag, 14. März 2008
15:07 Uhr

Was für eine Erlösung. Endlich höre ich die Kirchenglocken. Zuerst vier Schläge, und dann drei Schläge. „Du musst Zählen lernen …“ ist auch so ein Spiel von ihm. Ich sende ihm ein „S“ und ein Fragezeichen - nicht mehr. Er hat versprochen, mich um 15:00 Uhr zu erlösen. Ich vertraue ihm und ich weiß, er wird mich nicht länger als für meine Kontrolle notwendig leiden lassen. Er wird meine Bitte erhören und mir ein Zeichen der Erlösung senden.
Meine SMS-Botschaften sind Bitten, und seine Antworten sind unumstößliche Direktiven. Wir kommunizieren über eine Art Geheimschrift, die ich auswendig lernen musste. „Nur zu deiner Sicherheit Fickvieh“ hat er gesagt. Obwohl ich mich wie eine Agentin in geheimer Mission fühle, finde ich seine Anweisung vernünftig. Ich bin verheiratet und für mich steht viel, zu viel auf dem Spiel. Auch seine Wortwahl und die phantasievollen Bezeichnungen die er für mich hat, sind nicht abwertend. Im Gegenteil, ich empfinde Begriffe wie „Fickvieh“ oder „Dreckstück“ als ganz besondere Auszeichnungen, die mich über „normale“ Frauen erheben.
Das „S“ bedeutet Schokolade, und mein angefügtes Fragezeichen ist die Bitte um Erlaubnis, damit ich auf die Toilette gehen darf.
Qualvolle sieben Minuten später vibriert mein Handy. Hoffentlich ist es nicht Stefan. Dann kommt mein ganzer Ablauf durcheinander. Ich habe Glück, es ist seine SMS-Antwort. Endlich lese ich ein „J“ was so viel wie „Ja“ und sein Einverständnis bedeutet - kein liebevolles „ich vermisse dich du geile Fotze“ oder so etwas. Nur ein kaltes und abweisendes „J“ und sonst nichts.

Die Kinder sind ein Stockwerk höher in ihren Zimmern. Alina und Julian haben mir fest versprochen, nicht an den Computern rumzuspielen, sondern ihre Hausaufgaben zu machen. Ich weiß, ich sollte das kontrollieren. Julian hat schlechte Noten, und Alina lässt in der Schule auch nach. Aber ich weiß auch, dass die k**s dennoch mit ihren Computern beschäftigt sind, und mich nicht stören. Die mit Ketchup verschmierten Teller und die Gläser stehen auch noch auf dem Küchentisch. Ich hasse Unordnung. Es ist überhaupt nicht meine Art, einen Tisch nach dem Essen so zurückzulassen. Auch die Flecken auf der Tischdecke stören mich gewaltig. Obwohl ich viel von ihm gelernt habe, fällt es mir immer noch schwer, meinen Putz- und Aufräumfimmel zu unterdrücken. Aber wenn man die Ursachen und Zusammenhänge versteht, wird alles ganz einfach. Er hat mir gesagt: „Deine vollkommen überzogene Ordnungssucht entspricht deinem übersteigerten Drang nach Regeln. Du willst perfekt sein, und optische Reize sind die Auslöser für so ein Verhalten.“ So, oder jedenfalls so ähnlich hat er es ausgedrückt.
„Du kannst das nur in den Griff bekommen, wenn stärkere Reize alles andere überlagern.“
Das leuchtet mir ein, und bei mir scheinen seine Theorien wunderbar zu funktionieren. Warum das so ist, weiß ich nicht, aber ich habe mir vorgenommen, alles etwas entspannter zu sehen, auch wenn es mir noch schwerfällt. Ich werde das schmutzige Geschirr nachher wegräumen. Danach fahre ich in die Firma.

So als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt für die banalste Verrichtung der Menschen wäre, gehe ich ins Bad. Sorgfältig schließe ich die Tür ab und ich ziehe das Rouleau am Fenster herunter. Mein iPhone stelle ich auf das weiße Waschbecken. Ich lehne das kleine Gerät an die Mischbatterie und schalte die Aufnahmefunktion ein. Langsam öffne ich den Reißverschluss meines Rocks und ziehe ihn aus. Den Rock falte ich sorgfältig zusammen und lege ihn auf den Hocker. Dann knöpfe ich meine lindgrüne Seidenbluse auf. Beim Ausziehen achte ich darauf, dass mein Make-up nicht an den Stoff kommt.
„Baby take off your coat real slow
take off your shoes
I´ll take off your shoes
baby take off your dress yes yes yes
you can leave your hat on …
you can leave your hat on
you can leave your hat on …”

Das ist auch so eine kleine Manipulation von vielen, auf die ich immer wieder hereinfalle. Ich trage nur sehr selten Hüte. Stefan mag Frauen mit Hüten nicht. Er findet, dass es verrückt ist, sich mit Dingen zu schmücken, die für nichts gut sind, und keinen praktischen Zweck erfüllen. „Das sind Relikte aus der Steinzeit, mit denen die Neandertaler-Weibchen angelockt haben …“ ist Stefans Meinung. Doch für mich liegt genau darin der Sinn versteckt. Ich finde Hüte sehr dekorativ, und dich denke schon seit einigen Tagen daran, mich mit einer fähigen Hutdesignerin zusammenzutun. Das könnte der neuen Kollektion einen zusätzlichen Kick geben. Ich weiß nicht, warum mir das Lied jetzt einfällt. Aber meine Kreativität sitzt wie ein Alien in meinem Gehirn. Sie beginnt sich wieder zu regen und zu strecken.
Die Bluse hänge ich an einen Haken an der Wand. Sie darf nicht zerknittert werden, weil ich nachher noch einmal in die Firma muss. Meinen BH ziehe ich nicht aus, weil es so mit ihm vereinbart ist. Ich darf keine Slips anziehen, aber einen BH muss ich tragen - er will es so und er bestimmt über mich. Seit ich ihn kenne, muss ich ihm jeden Morgen eine SMS senden, und die Unterwäsche beschreiben, die ich anziehen möchte. Ich brauche sein ausdrückliches Einverständnis. Manchmal hat er andere Wünsche, oder verlangt, dass ich mich noch einmal umziehe. In den letzten Monaten habe ich keinen Slip mehr angehabt. Meine Strümpfe lass ich an. Das sind schweineteure Satin Sheers und die haben siebenundachtzig Euro gekostet. Dann ziehe ich meinen BH so runter, dass meine Brüste über den BH hängen.

Am Anfang unserer Beziehung war mir manches was er von mir verlangt hat unangenehm, und ich habe mich oft geschämt. Aber er hat recht wenn er sagt: „Wohin du auch blickst, du siehst bis in den Himmel ragende Wände. Reiß die alten Gemäuer ein, dann siehst du die grenzenlose Freiheit.“
Schüchtern habe ich gefragt: „Aber ich weiß doch nicht wie ich das machen soll?“
Seine Antwort war: „Ich zeige dir den Weg, wie das geht“, und mit seinen Trainingsmethoden überrascht er mich immer wieder. Sein Verdienst ist, dass ich schon einige, nicht alle Mauern meiner kleinen und engen Welt durchbrechen konnte. Es ist mir nicht mehr peinlich, seine Anweisungen genauestens zu befolgen. Und ich spüre Fortschritte. Ich habe zu meiner Kreativität zurück gefunden. Ich bin besser als jemals zuvor, und ich entwickle Ideen für meine Kollektionen, auf die ich vor ihm nie gekommen wäre.

Früher, vor meiner Ehe mit Stefan, empfand ich Sex als eine Art Bringschuld. Nachdem was ich in meiner Jugend erlebt hatte, empfand ich das als eine Art Tauschgeschäft. Sex gegen irgendwelche Vergünstigungen. So verschwommen waren damals meine Vorstellungen, wie das Leben funktioniert. Alles was ich wollte war Nähe, Zärtlichkeit und Vertrautheit, aber ich wollte oder nicht, musste ich mich ficken lassen, um Berührungen zu bekommen. Berührungen von denen ich mir Glück erhofft, und die mir doch nichts bedeutet hatten. Das klingt jetzt rührselig und sentimental.
Stefan weiß es nicht, aber ich war mit vielen Männern nicht nur im Bett. Im stehen, im liegen, und wie auch immer. Irgendwie musste ich ja durchkommen. Zum Orgasmus bin ich selten gekommen. Es gab sogar eine Zeit, das fühlte ich mich wie ein Spucknapf, der mit Körperflüssigkeiten von mir fremden Männern gefüllt wird. Damals hatte ich eine sehr schlimme, depressive Phase, und ich hasste meinen Körper und dachte oft an einen Ort, wo ich meine Ruhe finden könnte. Ich sehne mich immer noch nach Umarmungen, nach zärtlichen Küssen und liebevollem Kuscheln, und dann baue ich wieder Mauern auf, weil ich weiß, dass Umarmungen und Küsse die Packungsbeilage für Sex ist. Dann habe ich Stefan kennengelernt. Er war so unbeholfen, so ungeschickt und ich musste ihn retten, bevor ihn eine Andere in die Hände bekommt. Nach und nach wurden Stefans Küsse zu routinierten Markierungen. In meinem begann Kopf war nur noch der Gedanke: „Wenn du das zulässt, dann musst du Sex als Gegenleistung bieten.“ Eigentlich wollte ich Liebe, Vertrauen und Zärtlichkeit, und ohne es zu wollen, war ich wieder da, wo ich angefangen hatte. Das kann und will ich nicht mehr. Ich will Fairness und mir ebenbürdige Männer, und darum ist mir das Spiel mit ihm tausendmal lieber, und ich bin sogar richtig stolz, dass ich seine Zeichen am Körper trage. Wir sind gleich stark und die Regeln sind klar definiert. Ich muss mich nicht beschmusen lassen. Die Drumherum-Routine brauche ich nicht. Ich will immer wieder aufs Neue überrascht und immer wieder anders gefickt werden. Die römische Kaiserin Messalina ist mein großes Vorbild. Ins Ehebett bring ich die Gerüche anderer Männer und aus dem Palast wird ein Puff, und es bereitet mir ein irres Glücksgefühl, wenn das wohlanständige Haus nichts bemerkt.
Ich bücke mich so, dass mein Po mit seinem Zeichen gut ins Bild kommt. Den silbernen Plug mit dem schönen roten Swarovski-Kristall hat er mir geschenkt. Mit solchen Sachen kann er großzügig sein. Ich entferne den Plug aus meinem Arsch. Sorgfältig lecke ich ihn ab. Obwohl es inzwischen eigentlich egal ist, achte ich darauf, dass ich nicht direkt in die kleine Kamera sehe. Mein Gesicht soll so wenig wie möglich auf den Aufnahmen erscheinen. Den Plug lege ich in das rote Schminktäschchen in meiner Handtasche.
Ich weiß, dass ihm die Aufnahme gefallen wird. Es macht mich froh, wenn ich ihm eine Freude bereiten kann. Dann setze ich mich auf das Toilettenbecken. Nach quälend langer Zeit darf ich mich endlich erleichtern. Ich säubere mich sorgfältig mit Feuchttüchern. Streicheln darf ich mich nicht. Dafür brauche ich seine ausdrückliche Erlaubnis, aber an die elektrische Zahnbürste von Stefan hat er nicht gedacht. Stefan merkt das nicht, und ich kann mich wie ein kleines Kind freuen, wenn Stefan seine Zähne putzt, und nicht ahnt, wo seine Zahnbürste vorher geschnurrt hat. Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die großen Spaß machen. Aber für diese kleine Extravaganz wird er mich bestrafen, das weiß ich.
Die Aufnahme läuft noch und ich atme heftig. Ein Zittern wie nach kurzen, heftigen Stromstößen durchläuft meinen Körper. Ich bleibe noch einen Moment sitzen, und versuche ruhig zu atmen. Dann betätige ich die Toilettenspülung und wasche mich auf dem Bidet. Ich putze meine Zähne mit meiner (nicht mit Stefans) elektrischen Zahnbürste. Ich nehme auch Zahnseide um die Zwischenräume zu reinigen. Danach schminke ich mich sorgfältig. Mit meinem neuen REVLON-Lippenstift ziehe ich die Lippen nach. Dann ziehe ich mich wieder an. Das kleine Filmchen leite ich an ihn weiter. Ich schalte das Radio an und ich höre meine Lieblingsband. Die Melodie summe ich mit: „Wir sind uns vorher nie begegnet - doch ich hab dich schon lang vermisst ...“
Ich frage mich, was er in diesem Moment macht. Ob er an mich, seine kleine geile Hündin denkt?
Dann gehe ich in die Küche und stelle die Teller in die Spülmaschine. Die Kinder sind immer noch in ihren Zimmern. Stefan ist an seinem Arbeitsplatz, und hat seine Henkeltasse mit der Aufschrift „Boss“ vor sich stehen. Niemand hat etwas bemerkt.
Publicado por AmelieTharach
10 meses atrás
Comentarios
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and1961
and1961 4 días atrás
😂 klasse
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OvalFuse5 24 días atrás
Sehr Heiß , und das Kopfkino ist an 
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Alter_Wolf0
absolut geil
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limelight2005
limelight2005 6 meses atrás
Gefällt mir, hat was
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Peterext
Peterext 6 meses atrás
👍👍👍
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lordfoul
lordfoul 8 meses atrás
Schön geschrieben
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evel-one 9 meses atrás
sehr schön -- ich hoffe du schreibst weiter
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Reifersack 10 meses atrás
Sehr schön geschrieben gefällt mir sehr gut 
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Marcus6919 10 meses atrás
Mh, was kann ich da scheiben .... Einfach großartig. Danke dir.
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AmelieTharach
AmelieTharach Publicador 10 meses atrás
Danke
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dreamcatcher1892
dreamcatcher1892 10 meses atrás
Was soll ich sagen, Gefühle perfekt auf den Punkt gebracht und sehr schön geschrieben. 
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